Wir dürfen sonntags wieder Gottesdienst feiern. Das ist ein erster Schritt in Richtung Normalität. Große Feiern sind allerdings noch nicht wieder möglich – das haben wir an der verschobenen Konfirmation gesehen.
Für letzten Sonntag war auch ein Fest geplant gewesen: ein Festgottesdienst mit Chor auf großem Podest, Orchester, großer Gemeinde, vielen Gästen und natürlich guter Kirchenmusik. Denn die Kantorei Aschersleben hat Grund zum Feiern: Vor 50 Jahren wurde sie unter Dr. Klaus-Jürgen Gundlach gegründet.
Ein Grund, mit den Gedanken in die Vergangenheit zu schweifen: Fragen, wie damals alles begann und was in den Jahren geschah. Viele Erinnerungen werden wachgerüttelt. Es gibt Sänger, die waren damals noch in jugendlichem Alter und haben der Kantorei schon die ganze Zeit bis jetzt die Treue gehalten. Ganz abgesehen von den Jahren davor, in denen sie im Kinder- oder einem der Kirchenchöre aktiv waren. Gründungs-Mitglieder sind einer Liste für die erste Zusammenkunft im September 1971 zu entnehmen: Berndt und Doris Günther, Dorle Bucerius, Erika Griesbach, Christa Kellner, Helga Tegtmeier sind immer noch dabei. Andere Gründungsmitglieder, die noch leben, aber nicht mehr aktiv mitmachen können, sind z.B. Waltraut und Hellmuth Fromme, Waltraud Strube oder Ekkehard Poßnien und weitere.

Dr. Gundlach, der mit seinem Amtsantritt 1970 den Startpunkt für die Kantorei Aschersleben festsetzte, schrieb im September 1971: „Zweifellos liegt die Zukunft unserer Chöre unter den jetzigen Voraussetzungen im Zusammenschluss und gemeinsamer Arbeit.“ Gemeint waren die Chöre der evangelischen Gemeinden Ascherslebens und der umliegenden Region. Außerdem war ihm die Beteiligung des katholischen Chores zu ökumenischen Veranstaltungen ganz wichtig. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Kantorei nicht nur für Kirchenmitglieder, sondern für manche Menschen ohne kirchliche Bindung einen ganz wichtigen Raum in ihrem Lebensalltag einnimmt. Genau genommen gehören nicht nur die Sänger des großen Chores zur Kantorei , sondern gleichermaßen alle musikalisch tätigen Gruppen wie Kinderchor, Gospelchor („quintessence“), Turmbläser und in der Adventszeit auch diverse Flöten-Gruppen.
Ein paar Personen sollen an dieser Stelle noch benannt werden. Der unvergessliche Hubert Strauch, selbst leidenschaftlicher Berufsmusiker, war über viele Jahre nicht nur Mitglied sondern auch Kritiker der Kantorei und schrieb so manche fachlich fundierte Rezension für die Zeitung. Und was wäre die Kantorei ohne den katholischen Kantor Reinhardt Malenke? Er begleitet sie seit über vierzig Jahren verlässlich am Klavier in den Chorproben wie auch in den Konzerten. Die Kontakte mit vielen Gemeinden und diversen Pfarrern ergaben immer ein gutes Miteinander. Ein besonderes Highlight war kurz nach der Vereinigung die Fahrt nach Kassel zur Partner-Gemeinde.

Was die Kantorei zusammen hält, sind drei Säulen: Das Arbeiten in den wöchentlichen Proben, dazu Chorfahrten und zahlreiche gesonderte Probentage. Das Singen zum Lobe Gottes und zur Erbauung der Zuhörenden im Gottesdienst und im Konzert, zu Aufführungen ohne und mit Orchester und Solisten. Und das nicht nur in Aschersleben sondern genauso wichtig in den Kirchen und Senioren-Einrichtungen der Region und im Kirchenkreis Egeln. Die Gemeinschaft, erlebbar in Gottesdiensten und zu Gemeindefesten, Geselligkeit untereinander bei Sommerfesten, Ausflügen, Faschings- und Geburtstagsfeiern aber auch gegenseitiges Anteilnehmen und Mittragen von Einzelschicksalen. Wichtig ist auch die Gemeinschaft mit anderen Chören zu Chorfesten des Kirchenkreises oder Kooperationen bei Oratorien mit benachbarten Kantoreien wie Quedlinburg, Eisleben, Blankenburg, Gernrode, Neinstedt, Oschersleben und Schönebeck.
Wenn man bedenkt, welch umfangreiches Repertoire während der Jahre erarbeitet wurde, kann man schon mit etwas Stolz darauf schauen. Schon im ersten Jahrzehnt unter Dr. Gundlachs Leitung gab es Aufführungen des Messias, der Johannes-Passion, Die Schöpfung, Ein Deutsches Requiem. Dazu kamen etliche Messen und Kantaten von Mozart, Buxtehude, Bach und Mendelssohn-Bartholdy, Oratorien wie „Oratorio de Noël“ (Saint-Saëns), „St. Niclas“ (Benjamin Britten), „Tango-Messe“ (Martin Palmeri). Hinzu kamen zahlreiche Uraufführungen des jetzigen Kantors von Kantaten („Messe 94“, Choral-Suite über „Lobe den Herren“, „Du meine Seele singe“, „Nun komm, der Heiden Heiland“, Macht hoch die Tür“) und zahlreichen Chorsätzen und Jahreslosungs-Kanons. Dabei hat der Chor immer mit gutem Willen sich auch tapfer mit ungewohnten Klängen auseinandergesetzt. Aber stets mit Lust auf mehr.
Und nun? Wie gestaltet sich die Kantorei-Arbeit in der Corona-Zeit? Ohne Proben, ohne Gottesdienste, ohne Konzerte? Wöchentlich erhalten die Mitglieder Briefe per Mail dienstags zur Proben-Zeit. Zunächst mit Aufgaben zum Üben an dem Messias, bis das große Ziel entfiel, dann Beschäftigung mit Liedtexten aus der Chormappe. Auch ein neues bisher nie erklungenes Lied war zum Üben dabei. Und schließlich waren allgemeine Mut-mach-Texte und Mitteilungen, die das noch mögliche Gemeindeleben betrifft, ganz wichtig. Der Kontakt durfte und darf nicht abreißen. Aber nur schriftlich reicht nicht. Es gab schon eine Reihe Telefonate mit einzelnen Mitgliedern, um die Stimmen und Stimmung auch direkt vernehmen zu können. Auf die Frage, ob die Krise dem Chor Abbruch leistet, braucht der Kantor sich wohl eher keine Sorgen zu machen. Dazu ist allen Beteiligten die Kantorei viel zu wichtig und gehört einfach zum Leben jedes Einzelnen dazu. Und vielleicht können wir das 50. Jubiläum ja im nächsten Jahr feiern. An Motivation dafür soll es nicht fehlen.
(Text und Fotos: Thomas Wiesenberg / Bearbeitung: Ulrike Peter)