Eine Neujahrs-Predigt von Pfarrerin Anne Bremer.
„2020 lassen wir gerne ziehen.
Und mit ganz viel Hoffnung, dass es 2021 besser und schöner wird.
Ich glaube, wir haben alle in dieser Krise auch Schönes und Gutes erfahren. Neues ist entstanden, was wir nie gedacht haben. In so Manchem haben wir den Kern entdeckt, sind tiefer gegangen, als wir es sonst je getan hätten. Sind uns selbst näher gekommen. Es wäre schön, wir könnten diese guten Erfahrungen auch behalten und wert schätzen. Sie nicht nur als Trostpflaster nehmen, sondern als Geschenk, dass es wert ist wirklich bewahrt zu werden, weil es kostbar ist und uns reich macht.
Es geht nicht darum krampfhaft das Gute zu finden und oberflächlich sich irgendwas schön zu reden. Aber es ist so. Das Licht leuchtet in der Finsternis. Und da leuchtet es auch für und mit uns.
Diese Dinge zu sehen, kann uns Mut geben und Hoffnung. Kann uns lächeln lassen und dankbar sein.
Und wenn wir das sind, heißt das nicht, dass wir das Blöde klein reden. Nein, das tun wir nicht. Aber wir reden das Schöne auch nicht klein.
Letztes Jahr hatte ich mir einen Adventssegen ausgedacht. Vielleicht erinnern Sie sich?
Wir nehmen die eine Hand mit der Innenfläche nach unten die andere mit der Handinnenfläche nach außen. Und dann schieben wir die Hände nach links und rechts. Unter die Hand unseres Nächsten bzw. über die Hand des Nächsten. Wir kommen uns nah, aber nicht zu nah. Wir spüren die Wärme des Anderen. Wir spüren, da ist jemand, aber es ist noch nicht da. Eben Advent. Fast, aber noch nicht.
Auch dieser Segen war dieses Jahr durch Corona nicht möglich. Abstand. Obwohl – irgendwie haben wir auch die ganze Zeit den Abstand gesucht, den wir brauchen, um den anderen und uns zu schützen, aber gleichzeitig auch, um noch zu spüren.
Manchmal ist es uns geglückt, manchmal ist der Kontakt gerissen.
Ich, wie viele Andere, empfanden und empfinden den Abstand und damit auch die Kontaktbeschränkungen als das Schlimmste. „Keine Hand geben“, keine Umarmung, wen trifft man, wen nicht.
Selma, meine Tochter und ich haben letztens einen Film angeschaut und sie war ganz erschrocken, wieviel Menschen auf einem Haufen waren. Ich bin extrem wütend, dass meine Tochter erschrocken ist, weil Menschen zusammenkommen. Wir sind auf Gemeinschaft ausgelegt. Wir brauchen einander. Egal, ob es in der Familie, im Freundeskreis, bei diversen Veranstaltungen ist. Wir brauchen Menschen. Wir brauchen zusammenkommen. Der eine mehr, die andere weniger. Aber ohne ist es schwer.
Und unser Glaube, unsere Gemeinschaft hier in der Gemeinde geht eben auch nur mit „echten Menschen“. Die Onlinedinge sind toll und was alles an Ideen gekommen ist, um voneinander zu hören und einander wahr zu nehmen, war und ist genial. Aber es macht eben auch deutlich: Abstand ist blöd. Wenn auch in dieser Situation nötig.
2. Mose 13,20-22:
So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. 21 Und der HERR zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. 22 Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.
Der Text aus dem Mose-Buch erinnert uns: Egal durch welche Zeit ihr geht, ich, euer Gott, gehe mit euch. Ich kann euch führen, wenn ihr den Kopf hebt und nach mir Ausschau haltet. Wolkensäule oder Feuersäule – so dass ihr sehen könnt. Ich hoffe sehr, dass wir Gott 2021 sehen können. Ich glaube, es wird noch schwer. Im Januar und Februar, wenn es immer noch dunkel draußen ist, aber unsere Weihnachtslichter nicht mehr da sind.
Natürlich nimmt das den natürlichen Abstand nicht weg. Aber es ist wie ein durchsichtiges Band, das uns zusammenhält und verbindet, dass außerhalb unseres Rahmens und unserer Möglichkeiten sind. Unser Glaube geht über unsere Beschränkung hinaus. Und das Bewusstsein, dass wir gehalten sind und verbunden durch Gott kann uns durch diese Zeit hindurchhelfen. Ich brauche diese Hilfe. Und ich nehme sie gerne an und sie tut mir so unheimlich gut. Vor allen Dingen da, wo ich es nicht schaffe, nicht schaffen darf, nah dran zu bleiben. Wir gehen einander nicht verloren. Auch wenn wir es nicht schaffen, sooft wie nötig miteinander zu telefonieren, einander zu schreiben, zu besuchen – wir gehören und bleiben zusammen. Und auch, wenn Sie traurig sind und denken: ich bin einsam. Bitte erinnern Sie sich, dass wir verbunden sind. Ganz allein sind Sie nicht.
Jedes Jahr zu Silvester oder Neujahr gebe ich ein Wort mit. Auf einen kleinen Zettel geschrieben, so dass man es in die Brieftasche stecken kann oder irgendwohin wo Sie jeden Tag vorbei gehen und es sehen. Mein Wort/ Thema für 2021 möchte ich Ihnen heute auch mitgeben. Etwas revolutionär oder oportunistisch. Es ist meine Antwort auf Abstand und Kontaktbeschränkung. Mehr Nähe, weniger Abstand, mehr Zusammenrücken.

Lassen wir uns von Gott berühren und wir werden merken, wie nah er uns ist.
Lassen wir uns von anderen berühren und wir lassen sie nicht los. Sie werden Teil von uns und wir werden die Menschen, die Natur – egal immer im Blick haben. Was uns berührt hat, das wofür wir unser Herz geöffnet haben, wird in uns sein. Und was wir lieben, halten wir fest, sorgen uns darum. Bewahren es.
Das denkt weiter als Corona. Oder kommt näher als Corona.
Wenn es ein Teil von dir, ist die Konsequenz, dass du nicht vergisst, sondern dran bleibst.
Alle diese Dinge, von denen wir uns berühren lassen können, bringen uns näher zusammen. Wirklich nah.
Nicht jedes Thema, nicht jeder Mensch, nicht jede Situation wird uns so berühren, dass es Teil von uns wird. Aber wenn jede und jeder was hat und wir aufeinander hören und verbunden sind durch unseren Gott, dann geht nichts verloren.
Ich berühre dich und du rührst mich an.
So würde ich gern in das Jahr 2021 gehen. Mit Ihnen.“