An diesem Sonntag grüßt Sie schriftlich Pfarrer i.R. Gerhard Hampel aus Aschersleben mit Gedanken zur erneuten Verlängerung des Lockdowns.
Tapferkeit
Am 12. März 2020 erklärte die WHOO die Ausbreitung von Sars CoV-2 zu einer Pandemie.
Am 1. November 1755 wurde Lissabon von einem Erdbeben zerstört. Metertief riss der Boden auf. Überall in der Stadt brannte es. Die Menschen rannten zum Meer. Von dort rollte eine Riesenwelle über die ganze Stadt. Fast 100.000 Menschen starben.
Nicht das Beben allein, sondern die Verkettung seiner Folgen bewirkten das Maß der Verwüstung. Die Menschen verstanden die Welt nicht mehr. Und da war sie auch schon, diese berühmte Frage: Wie konnte Gott so etwas zulassen?
Andere meinten: Muss man Gott, der so etwas zuläßt, nicht den Krieg erklären?
Voltaire, der meistgelesene Schriftsteller jener Zeit kritisierte nicht Gott, sondern klagte „Gegen das Verbrechen der Natur“.
Dem Virus unserer Tage hat man längst den Krieg erklärt. Und auch heute scheiden sich die Geister: Mit oder ohne Gott in die Zukunft denken? Verlassen wir uns besser auf die menschliche Vernunft? Wie verläßlich ist sie? Im Erleben von Sinnlosigkeit fordern Menschen Sinn. „Die Herzlichkeit der Vernunft“ ist ein Buchtitel, formuliert nach einem Gespräch zwischen Alexander Kluge und Ferdinand von Schirach. Die menschliche Vernunft wird hier komplettiert. „Herzlichkeit der Vernunft“ zeigt die richtige Richtung und sagt: Hohe Intelligenz ohne Güte, Wärme, Freundlichkeit, eben ohne Herz, hat keinen Wert. Mit Blick auf das Virus von Krieg zu sprechen ist fahrlässig. Das Virus zu mißachten, klein zu reden oder von hintergründigen unbekannten Mächten zu reden, ist töricht.
Erinnerung: Aus allen Hochwasssergebieten von Elbe und Mulde hörten wir von tapferen Menschen und ihrem Einsatz gegen die Wassermassen. Auch jetzt, in Pandemie-Zeiten, sind sie da, die tapferen Menschen. Sie wurden gelobt und beklatscht. Ursprünglich war Tapferkeit eine Tugend von Soldaten. Wie wir merken, war das zu kurz gedacht: Tapferkeit ist eine Haltung, die jeder Mensch braucht. Tapferkeit ist nicht allein Unerschrockenheit gegenüber Gefahren. Auch nicht nur Durchsetzungskraft, sondern vor allem der Mut, das, was ich glaube in Deutlichkeit zu befolgen. Tapfere Menschen passen sich nicht einfach dem Mainstream an – sie beachten vereinbarte Regeln. Tapferkeit ist etwas anderes als Mut. Tapferkeit erwirbt man, Mut hat man. Mut ist etwas Aktives. Tapferkeit kann auch passiv sein, z.B. im Erdulden von Schmerzen. Manchmal sagen Eltern zu Kindern im Krankenbett: Du warst ganz tapfer.
Tapfer ist jemand, der sich nicht gehen läßt, sich nicht in jede beliebige Richtung drängen läßt. Mit Tapferkeit lebt es sich nicht unbedingt leichter, aber besser. Die Schwerste Form der Tapferkeit ist die Geduld. Geduld mit anderen, Geduld mit sich selbst. In Krisenzeiten brauchen wir mehr davon. Krise heißt ja „Entscheidung“.
Gott gebe uns die Kraft zur Tapferkeit, gerade dann, wenn wir dabei sind, die Geduld zu verlieren, damit wir die richtigen Entscheidungen treffen. Denn, wie gesagt:
Geduld ist die schwierigste Form der Tapferkeit.